Kulturelle Bildung in Zeiten der Unkultur – Statement der Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern (LKB:BY) zum Krieg in der Ukraine

Mit Fassungslosigkeit, Wut und Ohnmacht stehen wir dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine gegenüber. Und müssen, zusehen wie Millionen Menschen – vor allem Frauen und Kinder – vor Zerstörung und Bedrohung aus dem Kriegsgebiet fliehen, mit der schwindenden Hoffnung, dass sie bald dorthin in Frieden zurückkehren können. Wir können helfen, wir müssen helfen, aber letztlich muss unsere Politik die Vernunft bestimmen, und die sagt uns, dass wir uns auf einem sehr schmalen Grat der Unterstützungsmöglichkeiten bewegen.

Mit voller Wucht wird uns allen schmerzlich bewusst, dass wir scheinbare Gewissheiten aufgeben, etablierte Haltungen überdenken und neue Positionen finden müssen. Das gilt auch für alle Akteurinnen der Kultur und der Kulturellen Bildung. Deutlicher denn je wird klar, dass Kultur nicht per se gut ist, dass Kultur nicht unpolitisch sein kann, und ihre Akteurinnen nicht nur außerhalb eines politischen Raums agieren können. Das Handlungsfeld selbst und alle, die sich seit Jahren darum bemühen, Kultureller Bildung den notwendigen Wirkungsraum zu verschaffen, müssen sich als Konsequenz daraus Gedanken machen, wie Kulturelle Bildung zu verstehen ist und an welchen Zielen man sie ausrichten möchte. Mehr denn je wird auch sichtbar, dass Kulturelle Bildung (immer) auch politische und ethische Bildung ist. Sie findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern ist in konkrete kulturell-gesellschaftliche Kontexte und damit in Machtverhältnisse, Normen und Bedingungsstrukturen eingewoben, zu denen man sich positionieren muss. Welchen Werten ist Kulturelle Bildung verpflichtet und welchen Vorstellungen von Kultur, Kunst und Bildung folgt sie aus welchen Gründen? Sind es mehr als nur wohlfeile Sprüche, wenn wir von Stärkung der Resilienz, der Selbstwirksamkeit, der Entwicklung eigenständigen Denkens und Handelns des Einzelnen als Teil einer Gemeinschaft als Effekte Kultureller Bildung sprechen?

Wir sind zutiefst überzeugt, dass Kulturelle Bildung viele Potenziale und Wirkungsformen hat: Sie schafft Ausdrucksmöglichkeiten für Unaussprechliches, Dialogmöglichkeiten und Verständnis, vielleicht auch Trost und Heilung. Aber nicht von selbst und auch nicht unbedingt! Teilhabe an Kunst, Kultur und Bildung zu realisieren, ästhetische Freiräume zu eröffnen, in denen Menschen sich zu der eigenen Kultur verhalten können, heißt unweigerlich auch, sich dem zu stellen, was als Unkultur zu bezeichnen ist. Unkultur, Krieg und Leid sind genuine Bestandteile menschlich-kultureller Existenz, und das macht es notwendig, die Fallstricke idealisierter Bildungsvorstellungen zu benennen. Die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine sind ein Prüfstein: Sie markieren die Notwendigkeit, Zuschreibungen hinsichtlich der Wirksamkeiten Kultureller Bildung kritisch in den Blick zu nehmen, tradierte Idealisierungen und damit einhergehende Stilisierungen der Kulturellen Bildung zu reflektieren und etablierte Selbstverortungen auf ihre Tragfähigkeit hin zu prüfen. Kulturelle Bildung muss sich dazu nicht neu erfinden, aber sie muss sich aktiv mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Kunst und Bildung keine pädagogischen Allheilmittel sind, wie es die idealistische Tradition vermittelt. Kulturelle Bildung muss sich mehr denn je als Akteurin konzipieren, die gesellschaftlich wirksam wird und die einen Beitrag dazu leistet, diejenigen Transformationen nachhaltig zu befördern, die dem Menschen in seiner kulturellen Existenz lebenswerte Zukünfte eröffnet.

Kulturelle Bildung ist deshalb gerade jetzt notwendiger denn je, um den verstörenden Bildern und Erfahrungen der grausamen Realität des Krieges etwas entgegenzusetzen: Die Hoffnung auf Frieden, den Mut zur aufrechten Haltung, die Überzeugung von einer demokratischen, freien Gesellschaft, die Fähigkeit, Lügen zu widerstehen und die Kraft, Freiräume für das individuelle und gesellschaftliche Denken und Handeln zu verteidigen.

Als Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern wollen wir mit all unserem Engagement und gemeinsam mit unseren Mitgliedern auf den verschiedenen Handlungsebenen dazu beitragen, dass der Reichtum der unterschiedlichsten kulturellen Erfahrungen, die Freude am eigenen Gestalten und das Erleben der eigenen Wirksamkeit im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe möglichst viele erreicht. Nicht zuletzt hoffen wir, dass diese Entfaltungsmöglichkeiten auch jetzt Geflüchteten helfen können, in neuen gesellschaftlich-kulturellen (Lebens-)Wirklichkeiten anzukommen.